Der Anfang einer neuen Zeit

en: Der Anfang einer neuen Zeit (The Beginning of a New Time), Christmas cantata on a text by Hans Krieger for soprano, baritone, chorus, children's chorus, string orchestra and beginners on violin (or recorder)
de: Der Anfang einer neuen Zeit, Weihnachtskantate auf Worte von Hans Krieger für Sopran, Bariton, Chor, Kinderchor, Streichorchester und Geigenkinder (oder Blockflöten)

1. Chor (Moderato ma con moto): Hosianna! Freue dich, Christenheit!
2. Arie (Bariton, Andante tranquillo): Das hab' ich früher auch geglaubt
3. Arie (Sopran, Moderato): Wir haben Gott und auch uns selbst verraten
4. Rezitativ (Bariton, Lento): Wir sind allein im leeren Raum
5. Chor (Allegro mosso): Ein Schlachthaus ist die Welt
6. Arie (Sopran, Moderato): Nein! Nein! Nein! Die Verzweiflung macht euch blind
7. Kinderchor (Andante): Gott kam zur Welt als kleines Kind
7a. Zwischenspiel (Geigenkinder, Moderato), optional
8. Rezitativ (Sopran, Bariton, Adagio): Ist es denn wahr
9. Chor mit Choral (alle, L'istesso tempo): Wird Christus in uns selbst geboren

UA 3. und 4. Dezember 2011, Essen

en: "The cantata was written in response to a commission from Essen, a town to which there remained strong ties since studies there in the late 1980s. Never before having attempted a work with choir, soloists and instrumental ensemble, I gladly grasped the opportunity of writing for such forces. To these were added two soloists, children's voices, a children's orchestra and optional organ. Having conducted Noyes Fludde by Britten, a work combing "professional" forces and children, during student days in Essen, it seemed that history was somehow coming full circle 20 or so years later.
In the knowledge that the string orchestra would be of a high standard, I resolved to write a prominent part for the orchestra, going far beyond the role of accompaniment. Not just in the choruses, but also in the arias and the recitative the string orchestra is given a pivotal, concertante role. The choral writing is quite vigorous, extending over a wide tessitura and with frequent changes of metre. Centre-piece is the chorus "Ein Schlachthaus ist die Welt" (the world is a slaughter-house), combining sotto voce delivery with sudden, tempestuous out-breaks in fortissimo. The provocative cry at the end of this movement - "Wenn es Gott gäbe, säh' sie anders aus" - (if there were a God, the world would look different) in a syncopated figure, is underpinned by furious semiquavers in the strings, switching between major and minor patterns.
The final chorale appears three times and is first introduced by children's voices. Theirs is harmonically the most "advanced", symbolizing their role as the leaders, as if showing the way for the older generation of the establishment. The final version of the chorale combines all forces and adds organ. The motoric figurations in the string orchestra of the opening movement are combined with the chorale and the opening Hosianna-motive. Despite adherence to the 18th century tradition of closing with a communal chorale, its harmonisation is unconventional. With one exception, the major, root position chord is rigorously avoided. The final message is a heartfelt appeal for justice and peace (a kind of "et in terra pax"), and for a better world, in order to usher in the beginning of a New Time." (GW)

de: Hans Krieger zu seinem Text für die Weihnachtskantate:
In drei Stadien wird ein Entwicklungsgang durchschritten. Das traditionelle, vielfach zur Konvention verflachte Verständnis des Weihnachtsgeschehens wird konfrontiert mit dem Zweifel an Gott und der Verzweiflung über den Weltzustand und damit zu einer Neubesinnung und Neudeutung herausgefordert. Die Menschenwerdung Gottes in der Geburt des Kindes Jesus ist symbolischer Ausdruck für die Menschwerdung des Menschen. Wenn wir Gotteskindschaft, also den Christus in uns, realisieren, werden wir bereit, eine Welt des Friedens und der Gerechtigkeit zu schaffen, das „Gottesreich“ zu verwirklichen.
Ich greife damit Diskussionen auf, die seit längerem in vielen evengelischen wie katholischen Gemeinden und in der Theologie stattfinden, wo - nicht zuletzt nach dem Auschwitz-Schock - um ein neues, zeitgemäßes Verständnis des Christenglaubens gerungen wird. Einen guten Einstieg in diese Auseinandersetzungen bietet, mit vielen Hinweisen auf weiterführende Literatur, das Buch „Notwendige Abschiede“ des (emeritierten) evangelischen Theologieprofessors Klaus-Peter Jörns. Den Grundgedanken hat schon vor mehr als 300 Jahren der schlesischer Mystiker Angelus Silesius ausgesprochen: „Wird Christus tausendmal zu Bethlehem geboren / und nicht in dir, du bleibst noch ewiglich verlorn.“ In besonderer Weise verpflichtet fühle ich mich dem im ZEN-Buddhismus geschulten Benediktermoench David Steindl-Rast, der in seinem Buch „Credo“, einer tiefgreifenden Neuinterpretation des Apostolischen Glaubensbekenntnisses schreibt: „In biblischer Sicht ist Gotteskindschaft für jeden Menschen Gabe und Aufgabe“. (HK)

Im Sommer 2010 erreichte den Komponisten Graham Waterhouse ein Anruf aus Essen, der eine Weihnachtskantate anregte. Er hatte in Essen an der Folkwang-Hochschule studiert und Kontakte aufrecht erhalten. Konkreter wurde das Projekt, als sich Auftraggeber und Komponist 2011 auf ein Libretto verständigen konnten. Der Münchener Lyriker Hans Krieger, dessen Texte Waterhouse bereits in Animalia (für Violoncello und Sprechstimme) und dem Lied Im Gebirg (für Mezzosopran, Altflöte, Violoncello und Klavier) in Musik gesetzt hatte, verfasste zunächst einen Text, der durch seinen Beginn provozierte. In einer späteren Fassung beginnt der Text mit der Weihnachtsbotschaft, dann erst folgen nachdenkliche Passagen zur heutigen Zeit („Ein Schlachthaus ist die Welt… wenn es Gott gäbe, säh' sie anders aus“), die zuversichtlich enden in „Das ist der Anfang einer neuen Zeit.“

Der Komponist schrieb bisher überwiegend Kammermusik und an Vokalwerken einige Lieder, jedoch erst fünf Chorwerke, davon eins noch während seiner Schulzeit. Das Werk ist für die Besetzung geschrieben, die für die Uraufführung in Essen zur Verfügung steht: zwei Solisten, Kammerchor, Kinderchor und Streichorchester. Es ist die größte Besetzung seit seinem Cellokonzert aus dem Jahr 1995.
Die Kantate ist traditionell aus Chorsätzen, Rezitiv und Arien aufgebaut. Der Kinderchor trägt einen Satz solistisch. Im letzten Satz führt er - in der Tradition Bachs, dessen Kantaten meist mit einem Choral enden, einen Choral. Ähnlich wie in Strawinskis L'Histoire du soldat sind Text und Melodie jedoch neu. Der Choral wird vierstimmig a cappella wiederholt, danach erscheint er in einen Orchestersatz eingebaut und fortgesponnen, während die Solisten den Ruf Hosianna des Anfangs wieder aufnehmen.

„Bei dieser Kantate kombiniere ich zum ersten Mal Chor und Streicher. Im Schulchor habe ich "Zadok the Priest" von Händel und das "Stabat Mater" von Pergolesi mit Streichern gesungen und bemerkt, dass die Streicher einerseits wie die Stimmen Kantilenen gestalten können, anderseits in variantenreicher Artikulation eine reiche Palette von Klangfarben bieten. Der Streichersatz ermöglicht eine verfeinerte Stimmführung der verschiedenen Instrumenten, in der einzelne Linien kontrapunktisch hervorgehoben werden können. Im Kantatentext von Hans Krieger gefiel mir die klare Gliederung in Abschnitte für Chor, Rezitative und Arien für Sopran und Bariton, sowie für Kinderchor, die die Architektur des Werkes bestimmen. Der Inhalt entwickelt sich dramatisch vom jauchzenden, zuversichtlichen Anfang über die bohrenden Fragen der mittleren Sätze zur Erkenntnis im Duett und abschließend einer positiven Haltung für alle Beteiligten, die einen Choral einbezieht. Eine Streicher-Figur in schnellen, saitenwechselden Sechzehnteln durchzieht das Stück und bildet abschließend einen Kontrapunkt zum Choral. Die neue Choralmelodie ist Kirchenliedern ähnlich, doch unerwartet harmonisiert.“ (GW)

Did you know … that Hans Krieger, an award-winning German essayist, influential in papers such as Die Zeit, wrote the text for a Christmas cantata by Graham Waterhouse?
(4 December 2011)